Ab dem Rosenmontag beginnt in der Armenischen Kirche die Große Fastenzeit vor Ostern (arm. Մեծ Պահք). Sie schließt die Karwoche, (arm. Աւագ Շաբաթ, übersetzt: Große Woche) ein und endet mit dem Fest der Auferstehung unseres Herrn (arm. Յարութիւն Տեառն՝ Սուրբ Զատիկ).
Beim Fasten meint die Armenische Kirche einerseits die Enthaltung von jeglichen tierischen Produkten und Erzeugnissen sowie von Vergnügungen und anderen zeitverschwenderischen Beschäftigungen, und andererseits das Hinwenden unserer Gedanken und des Geistes auf das Gebet, die Reue und die Buße, damit wir uns dadurch Gott nähern. Im gegenteiligen Fall verliert das Fasten seine wesentliche und grundsätzliche Bedeutung, wenn es sich nur auf die Enthaltung von tierischen Erzeugnissen beschränkt. Es gibt Tausende von Menschen, die sich vegetarisch ernähren, was selbstverständlich nicht bedeutet, dass sie im geistigen Sinne fasten. Das leibliche und moralische Fasten sind für die Armenische Kirche Bestandteile einer Art geistigen „Reise aus der Finsternis ins Licht“.
Das geistliche Ziel des Fastens ist die Buße, in anderen Worten, das Reinigen von den Sünden und die Befreiung vom Gefühl des Schuldigseins, denn die Sünde ist das höchste Böse bei einem Einzelnen sowie in einer Gemeinschaft und das, was uns von Gott trennt. Wenn der Mensch seiner moralischen Werte beraubt wird, hört er auf, Mensch zu sein. Das, was uns von den anderen Geschöpfen unterscheidet, ist nicht unser äußerliches Aussehen, sondern unser moralisches Bewusstsein, unser Gewissen und die Fähigkeit, Gott kennen zulernen und sich an ihn zu wenden.
Es muss auch erwähnt werden, dass durch das Fasten allein keine Vergebung der Sünden erreicht wird. Gott allein ist derjenige, der uns vergibt. Das Fasten ist eine wichtige Hilfe in diesem Vergebungsprozess. Reue, Gebet und Buße, die Bestandteile des Fastens sein müssen, schaffen die Grundvoraussetzungen, in denen Gottes heilende und vergebende Kraft wirkt.
Einige praktische Fastenregeln:
1. Das Fasten beginnt in der Armenischen Kirche ab dem Rosenmontag.
2. Ab diesen Tag bis zum Vorabend des Osterfestes bzw. bis zum Osterfest enthält man sich von allen tierischen Produkten (Fleisch, Fisch, Wurst usw.) und Erzeugnissen (Eier, Butter, Milch, Käse usw.) Eine Ausnahme bildet nur der Honig.
3. Neben dem „normalen“ Fasten gibt es auch das strenge bzw. totale Fasten, wenn man für eine bestimmte Zeit nichts zu sich nimmt. Üblicherweise sind es Mittwoche und Freitage der Großen Fastenzeit. Es kann auch stundenweise sein, z. B. von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Danach kann man wieder pflanzliche Kost in sich nehmen.
4. Man fastet in der Armenischen Kirche durchgehend, 24 Stunden am Tag, einschließlich Samstage und Sonntage. Für diejenigen, die es nicht durchhalten können, ist es ausnahmsweise möglich, samstags und sonntags tierische Erzeugnisse (Eier, Butter, Käse, Milch usw., aber kein Fleisch) zu essen. Das nennt man „Halbfasten“.
5. In der Mitte der Großen Fastenzeit wird “Mitschink” (arm. Միջինք) gefeiert. Man backt einen Kuchen, in dem eine Münze versteckt wird. Wer das Kuchenstück mit der versteckten Münze bekommt, dem wird das Jahr Glück bringen.
6. Das Fasten beendet man entweder am Vorabend oder am Tag des Osterfestes. Man soll in die Kirche gehen, der Hl. Messe beiwohnen und mit einer Hl. Kommunion das Fasten beenden.
7. Die Kirche erwartet, dass die Fastenden während der Großen Fastenzeit intensiv zur Kirche kommen, den speziellen Abendandachten zur Fastenzeit beiwohnen sowie das Lesen der Bibel und ihre individuellen Gebete intensivieren.
8. Es ist auch sehr wichtig, sich wenigstens während der Großen Fastenzeit von schädlichen Gewohnheiten (z. B. dem Rauchen) fernzuhalten.
9. Während der gesamten Fastenzeit finden in der Kirche keine Trauungen statt. Es ist auch Madaghorhnutyun untersagt.
10. Die armenischen Gemeinden und Vereine werden gebeten, keine geselligen Partyveranstaltungen zu organisieren.
Die Sonntage der Fastenzeit
Die Sonntage der Fastenzeit werden in der Armenischen Kirche folgendermaßen genannt:
1. Sonntag des guten Lebens (arm. Բուն Բարեկենդան)
2. Sonntag der Vertreibung aus dem Paradies (arm. Արտաքսման Կիրակի)
3. Sonntag des verlorenen Sohnes (arm. Անառակ Որդիի Կիրակի)
4. Sonntag des ungetreuen Verwalters (arm. Անիրաւ Տնտեսի Կիրակի)
5. Sonntag des ungerechten Richters (arm. Անիրաւ Դատաւորի Կիրակի)
6. Sonntag der Ankunft des Herrn (arm. Գալստեան Կիրակի)